Wochentags, später Vormittag, vor der Bäckerei von Montségur eine lange Schlange. Vor dem Laden ein Fass mit glühender Asche. Es geht einfach nicht voran. Endlich an der Schwelle zur Bäckerei. Wie in einer anderen Welt. Eine ältere Dame verkauft die Backwaren. Mit jedem Kunden entwickelt sich dabei ein sich hinziehendes Palaver. Worum mag es nur gehen? Brot kaufen ist doch eigentlich ganz einfach. Offenbar sind bis auf wenige Ausnahmen die Brote und Baguettes bestellt. Für jede abgeholte Bestellung wird in einem abgegriffenen dicken Buch gewissenhaft ein Vermerk eingetragen. Auf dem Verkaufstisch stehen beschriftete Schälchen mit Mehl. Ein junger Mann, vielleicht der Sohn der Dame, bereitet ein paar Pizzen vor, die gleich in einen vorsintflutlich anmutenden Ofen eingeschoben werden sollen. Endlich bin ich an der Reihe. Ich spreche kein Wort Französisch. Sie kein Wort Englisch. Ich zeige auf einen der beiden Körbe nahe des Backofens, in dem Baguettes stehen. Bedauerliches Runzeln der Stirn, etwas mit Réservation sagt sie, was auch ich verstehe. Ich wende mich zum Brotregal. Hier liegen verschiedene Brotlaibe. Alles gut beschriftet. Das letzte Brot im Bereich mit einer Aufschrift die Montségur enthält, hat der Mann vor mir gekauft. Ich zeige wahllos auf einen Laib, versuche „Hälfte“ zu kommunizieren, indem ich mit dem rechten Zeigefinger quer über die linke Handfläche fahre und „half please“ sage. Das löst einen Wortschwall aus und wieder Kopfschütteln. Ich vermeine Ärger in ihrer Stimme wahrzunehmen. Es ist mir peinlich, nun selbst „den Verkehr aufzuhalten“. Resigniert sage ich: OK. Und denke: Was solls, dann eben notgedrungen einen ganzen Laib.
Plötzlich wendet sie sich an den jungen Bäcker, kurzes Zwiegespräch, er nickt – und zieht aus einem der Körbe ein Baguette heraus, gibt es ihr. Lächelnd hält sie mir das kostbare Backwerk entgegen. Ich reiße überrascht die Augen auf, nicke heftig und bedanke mich höflichst gemäß Wörterbuch. Allen vor mir wurde eine Ausnahme stets strikt verweigert. Die Baguettes sind reserviert, basta. Was werden wohl die Leute hinter mir denken, sicher sind die jetzt sauer. Ein Blick über die Schulter zurück entlang der Wartenden lässt mich erleichtert aufatmen. Wohlwollend lächelnde Gesichter. Nun schnell bezahlen und raus. Madame nennt mir den Preis. Verstehe ich ohnehin nicht. Ich lege einen 50-Euro-Schein auf den Tisch. Zu meinem Erschrecken setzt Wehklagen ein. Verzweifelt zeigt Madame auf die Digitalanzeige der Kasse: Ein Euro fünfzig. Ich verstehe, kein Wechselgeld. Ich krame passend Münzen hervor. Madame schaut mich dankbar lächelnd an. Ich bedauere jetzt, nur den Wörterbuch-Dank ausdrücken zu können und verlasse glücklich die Bäckerei. Auf einer Bank auf dem Vorplatz des benachbarten Kirchleins betrachte ich erstaunt meine Trophäe näher. Und esse voll Genuss mein Baguette.
Das Brotbrechen als Sinnbild für die stellvertretende Lebenshingabe Jesu betrachteten die Katharer als spirituellen Kannibalismus, also eine Blasphemie, und lehnten es daher strikt ab. Nach ihrer Auffassung sandte Gott Jesus nicht für den Loskauf der Erbsünde auf die Welt, sondern um die Menschen zur Erkenntnis zu inspirieren, wie die in materieller Form eingesperrte Seele Dank Lebenshaltung und Geisttaufe ihren Platz im „Himmelreich“ finden kann.
Bild: Andreas Bubrowski