Vermutlich würde Cynthia Nickschas versuchen, vor Empörung aus ihrer Haut zu fahren, wenn man ihr gleich zu Beginn sagt, man habe den Eindruck, die junge Avril Lavigne stände vor einem auf der Bühne. So auf das Äußere reduziert zu werden, ginge gar nicht, könnte einem leicht entgegen fliegen. Empört wäre sie aber vermutlich weniger wegen eines Vergleichs der äußeren Erscheinung. Cynthia und Avril, beide um 1,60 Meter, beide wirken wie quirlige, „freche Teenager-Gören“, die neben „großen Männern“ – etwa Musikerfreunde – einerseits physisch noch ein Stück kleiner wirken, was aber andererseits ihre sexy Aura eher noch verstärkt, zumal wenn sich daraus einer Vulkaneruption gleich, ein heißes, lautes musikalische Feuerwerk aus Rockballaden zum Nachdenken und Abtanzen entäußert, dem alle bald nur zu gern und willig im Rhythmus folgen.
Liedermacherin oder Rockröhre
Nein, Cynthia wäre vermutlich weniger als Frau denn als Künstlerin beleidigt. Avril Lavigne füllt ihren Rock-Style textlich bekanntlich vor allem mit echtem Teeny-Blabla auf einem Niveau, das nur wenig über die Hüfte hinaus nach oben geht – und das auch noch mit ü30. Null Gesellschaftskritik. Aber 100 Prozent Konsum. Bei Cynthia ist es nahezu genau umgekehrt. Und das macht Musik, Sängerin und Gruppe besonders.
Noch zumindest spielen Cynthia Nickschas & Friends wie letzten Freitag in Rudolstadt auch lediglich vor drei Handvoll oder so Leuten. Der Bürgerservice der Stadt wollte auf Anfrage von dem Gig nichts gewusst haben. Und offenbar konnten auch die an der Hauptstraße montierten Hinweisschilder zum Konzert nicht die Leute in die kalte Nacht und ans Saaleufer in die Saalegärten locken. Wenn das Schiller wüsste, wie mutmaßlich kulturverdrossen und desinteressiert am revoluzzerhaften Widerspruch in Wort und Ton die Nachfahren seiner Wahlheimat sind.
Cynthia Nickschas & Friends in Rudolstadt am Tag der Sonnenfinsternis
Von den etwa 40 Liedern ihrer Band wären nur zwei Liebeslieder, erzählt Cynthia und nur an der Stelle wirkt ihre kämpferische Quirligkeit bemüht, kann die Traurigkeit nur halb verhüllen. Was man verstehen kann. Denn Mensch und Musikerin hatten es nach ihren Worten oft nicht nur nicht leicht, sondern auch dramatisch schwer. Finanziell, familiär und überhaupt. Doch aller persönlichen Prüfungen zum Trotz ist Cynthia ein wacher Geist der Zeit. Nicht zu verwechseln mit „Zeitgeist“ – den hasst sie heiß und innig mit seiner neokapitalistischen Gewalt, die Menschen – junge vor allem – zu stumpfsinnigen Konsumsklaven degradieren lässt. Wenn das dem erstmaligen Konzertbesucher auffällt, beginnt auch der Vergleich mit Avril Lavigne zu verblassen. Eher kommt einem das bedrückend expressionistische „DREI SCHÜSSE IN DIE LUFT“ in den Sinn. Also KRAFTKLUB. Und genau in der Richtung kann man Cynthia musikalisch gefühlt verorten.
Manches der Lieder von Cynthia Nickschas & Friends hat echtes Hitpotenzial. Lieder? Nicht Rocksongs? Tatsächlich lässt Cynthia hier und da durchblicken, dass sie sich als Liedermacherin sieht. Von Liedermacher-Dinos, wie Reinhard Mey und Konstantin Wecker, spricht sie ehrfurchtsvoll. Das überrascht, denn ihre stillen und lauten, authentisch erlittenen, frisch-rockigen Songs zum Tanzen und Nachdenken über das Hier und Jetzt lassen auf dem ersten Blick motivisch wenig Schnittpunkte mit dem aus den 1970er Jahren überlieferten Liedermacher-Genre erkennen, zumal der alternativ-links-grüne Geist von damals sich inwischen in genau dem System koalitionswillig inkarniert hat, das er einst vorgab verändern zu wollen. Das muss natürlich – zugegeben – junge Musiker keineswegs davon abhalten, das Lied auch heute und erneut in einem kämpferischen neuen Geist zu nutzen, zumal wenn man diese Kustform beherrscht, wie Cynthia. Die gefühlte Hälfte der rockenden Besucher in Rudolstadt konnte jedenfalls bei vielen Songs textsicher mitsingen. Offenbar alles Leute auf die Schiller dann doch stolz wäre. ANDREAS BUBROWSKI
Linksunten: Cynthia Nickschas & Friends
Für S. († 17. März 2015)