Notre-Dame de Vals: Kraftort mit tonnenschwerer Leichtigkeit

SERIE: Launige Bildnotizen von einer Reise ins Land der Katharer

Holzblock mit eingraviertem Katharerkreuz | Abbildung: Andreas Bubrowski

Mehrere doppelthandtellergroße Holzblöcke mit eingraviertem Katharerkreuz zieren wenn nicht gar magnetisieren die Felsenkirche von Vals. Abbildung: Andreas Bubrowski

Stille Leichtigkeit kann Tonnen wiegen. Wer das erleben möchte, sollte ein paar Stunden seiner Lebenszeit in der Felsenkirche Notre-Dame de Vals verbringen. Doch wozu sich das antun? Die auf einem vermutlich prähistorischen Kultplatz errichtete Notre-Dame1 ist ein Kraftort. Hier erhält die suchende Seele die Chance zur Artikulation. Hinsetzen. Loslassen. Denken einstellen. SEIN. Was dem Ego tonnenschwere Last, ist dem Seelenfunken das Öffnen eines Weges durch das „Tote Meer“ konditionierten Seins.

Liebliche mediterane Hügellandschaft

Verlässt man nach ein paar Tagen Aufenthalt die tiefen Talfalten der Pyrenäen in Richtung Nordwesten, also in Richtung Toulouse, hat man den Eindruck in eine weite Ebene hineinzufahren. Man bemerkt, dass die Gebirgstäler Schutz vermittelten. Jetzt liegt alles weit offen. Unwillkürlich überlegt man sich, dass Katharer zu Fuß auf der Flucht es hier sicher schwer hatten, sich vor den berittenen Häschern der Inquisition zu verbergen. Doch nach einer Weile gleichmäßigen Verkehrsflusses – in Frankreich sind 130 Kilometer pro Stunde Geschwindigkeitsobergrenze – offenbart sich die Ebene als liebliche mediterane Hügellandschaft. Auch hier „draußen“ gab es Katharer-Hochburgen. Und der Kraftort Vals gehörte sicher dazu.

Taufe am Kraftort

Einsam fährt man durch riesige mit Sprenkleranlagen versehene Maisfelder, deren rotierende Wasserspender weit und breit das einzig erkennbar „Lebendige“ zu sein scheint. Wie in einem Reiseführer beschrieben, fällt der das Dorf überragende Kirchtum auf – genau genommen aber ein allen Krichtürmen eigenes Merkmal. Also nichts besonderes. Das Besondere wird erst offenbar, wenn man sich dem Felsen nähert, mit dem die Kirche verwachsen ist. Dörfchen und Kirche in der sengenden Hitze des frühen Nachmittags wirken, als ob sie nichts miteinander zu tun haben. In den wenigen Gassen Alltagsgeräusche. Bis an den Felsen heran reicht der mit Wohnhäusern, Scheunen und Stallungen bebaute Raum. Manches ist zerfallen, anderes strahlt exklusive moderne Ausstattung aus.


Vals, Département Ariège in der Region Midi-Pyrénées, knapp 100 Einwohner

Die durch das Felsmassiv jetzt in der Tat besonders aufragend wirkende Felsenkirche scheint grimmig prüfend auf den Einlass begehrenden Besucher herabzublicken. Man traut sich kaum unaufgefodert den Türgriff zu ergreifen. Die Kirche betritt man durch eine Felsspalte. In die Kirche gehen bedeutet, in den Felsen vorzustoßen. Dann im „Basement“ des dreistöckigen Kirchenbaus, fällt alles Raumzeitliche von einem ab. Der Kraftort kann seine Wirkung entfalten. Dicke Mauern, Holzbänke und Türrahmen die Jahrhunderte alt sein müssen umfassen einen Raum schwerster Stille. Für die Katharer ist die manifestierte Welt ein „Werk des Teufels“. Ein barmherziger und allmächtiger Gott könne ja schlecht für all das Elend, das vergänglicher Existenz unvermeidlich anhaftet, verantwortlich sein. Die Heimat des menschlichen Seelenfunkens ist demnach nicht IN dieser Welt. Das löst unmittelbar die Frage aus: Wo dann?

Man kann kaum einen geeigneteren Platz finden, um dieser Frage nachzuspüren, als in einem mehr als tausendjährigen Kirchenraum, der auf einen äonenalten Felsen gründet. Das gedankliche Kreisen oder auch das Kreiseln von Chakren nimmt der Besucher schließlich mit hinaus in den grellen Sommernachmittag und auch unter einen Schirm des Café Vals. Drei weibliche Generationen verbreiten lebendige Fröhlichkeit, die beinahe als Widerspruch zur existenziellen Stille soeben daher kommt. Dabei haben Stille und Fröhlichkeit innigst miteinander zu tun: Die kleine Louise wird im September 2016 dort oben, in dieser Kirche, die ein besonderer Kraftort ist, ganz normal getauft. ANDREAS BUBROWSKI

  1. auf Deutsch: Unsere Frau

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